AixViPMaP
Mit der AixViPMaP-Plattform, der Aachen Virtual Platform for Materials Processing, baut das Projekthaus ICMEaix eine Infrastruktur auf, die unter anderem Rechnerleistung und Programmlizenzen bereitstellt und als Dienstleistungsangebot der RWTH-Institute an externe Auftraggeber dienen kann.
Die Abkürzung ICME wird international zur Beschreibung eines neuen Forschungsansatzes für die Entwicklung von Werkstoffen und ihren Herstell- sowie Verarbeitungsprozessen gesehen. Der Begriff
„Integrative Computational Materials Engineering“ steht für die prozessstufen- und skalenübergreifende numerische Simulation von langen Prozessketten. Im Exzellenzcluster Produktion in Hochlohnländern entwickeln die Institute für Eisenhüttenkunde IEHK, Bildsame Formgebung IBF, Kunststoffverarbeitung IKV, Geometrie und praktische Mathematik IGPM, das Werkzeugmaschinenlabor WZL, Access e.V. und das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik IPT gemeinsam neue Werkstoffe und die dazu gehörende Prozesstechnik mit dieser neuen Methode. Mit der „Aachen Virtual Platform for Materials Processing“, kurz AixViPMaP, ist eine Simulationsplattform entstanden, die es ermöglicht, unterschiedliche Simulationsprogramme an unterschiedlichen Forschungsstellen zu einer virtuellen Prozesskette zusammenzuschließen.
Stahl ist mit Abstand der meistverwendete metallische Werkstoff und zudem zunehmend höheren Anforderungen ausgesetzt. Brücken sollen immer größer werden, Fahrzeuge nicht nur leichter, sondern auch sicherer, und Windkraftanlagen werden immer höheren Belastungen ausgesetzt. Die Stahlhersteller müssen sich gleichzeitig auf einem globalen Markt behaupten. Deshalb stehen Industrie und Wissenschaft gemeinsam vor der Aufgabe, ein optimales Verhältnis zwischen geforderten mechanischen und funktionalen Eigenschaften sowie Material- und Produktionskosten zu finden. Diese Eigenschaften sind von der chemischen Zusammensetzung und somit von den Rohstoffen abhängig. Die Preise für Rohstoffe sind auf einem globalen Markt jedoch großen Schwankungen ausgesetzt. Um konkurrenzfähige Bauteile für die Industrie herzustellen, werden besonders teure Legierungselemente (wie Nickel oder Molybdän) möglichst durch kostengünstigere Substitutionsmetalle (zum Beispiel Mangan) ersetzt, wobei es hier nicht zu Qualitätsverlusten kommen darf. Gleichzeitig muss die Herstellung weiterhin kostengünstig realisierbar sein.
Softwaretools koppeln
AixViPMaP ist eine Plattform, auf der verschiedene Softwaretools im Bereich der Werkstoff- und Prozesssimulation effizient und effektiv gekoppelt werden können. Vor dem Hintergrund, maßgeschneiderte Werkstoffe in kostenoptimierten Produktionsprozessen herzustellen, gewinnt die Nutzung mathematischer Modellierungsmethoden an Bedeutung. Hierbei werden verschiedene Computerprogramme beziehungsweise Modelle auf Makro-, Mikro- und Nanoskale kombiniert, um die komplexen Zusammenhänge bei der Werkstoffentwicklung und -herstellung abzubilden. Die Ergebnisse einer Prozesssimulation dienen als Inputparameter für darauffolgende Simulationen und somit kann der Einfluss der Parameteränderung auf die Endeigenschaften des Bauteils ermittelt werden.
Die Funktionalität der AixViPMaP lässt sich anhand von Getrieben für Windkraftanlagen veranschaulichen: Getriebe sind zentrale Teile der Windkraftanlage, die hohe und schwer vorhersehbare Belastungen aushalten müssen. Das Risiko von Verschleiß und Ausfall ist groß. Insbesondere in einem Windpark im Meer, weit entfernt von der Küste, ist ein solches Windrad enormen Umwelteinflüssen und Kräften infolge von Temperaturwechsel und Windlasten ausgesetzt. Schäden müssen aufwändig und teuer repariert werden. Das Ziel in der Produktion von Windkraftanlagen ist also, Getriebekomponenten mit möglichst hoher Langlebigkeit beziehungsweise Laufleistung und hoher Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Gleichzeitig muss das Gesamtgewicht der Konstruktion begrenzt bleiben. Wenn Konstrukteure Getriebe für neue Windkraftanlagen entwickeln, so muss ein optimaler Werkstoff mit hoher Sicherheit und gleichzeitig möglichst geringen Legierungs- und Produktionskosten bestimmt werden. Konventionelle Einsatzstähle reichen hierfür oft nicht aus oder aber sie sind sehr teuer. Erfahrungswerte für alternative Stähle fehlen. Mit Hilfe der AixViPMaP-Plattform kann ein neuer Stahl mit angepassten Lebensdauereigenschaften und optimierten Produktionskosten für den jeweiligen Anwendungsfalldesignt werden. Die Lebensdauer von Getriebebauteilen ist von vielen Einflussgrößen abhängig. Basis für die Herstellung eines solchen Stahls ist zum einen die chemische Zusammensetzung, die den Reinheitsgrad entscheidend ausmacht. Die Herstellung besteht aus vielen Prozessschritten, angefangen beim Gießen und der Erstarrung. Ziel hierbei ist die möglichst homogene Verteilung der Elemente, damit das Bauteil zum Beispiel die erforderliche Festigkeit an allen Stellen besitzt. Die anschließenden Umformschritte wie Schmieden und Ringwalzen dienen der Herstellung eines Rohlings, wobei das Bauteil seine grundsätzliche Form erhält. Durch eine Wärmebehandlung wird die Bearbeitbarkeit des Materials für das anschließende Zerspanen eingestellt. Das so genannte Weichspanen stellt durch Drehen die grundsätzliche Endgeometrie für das Bauteil her und schneidet durch Wälzfräsen die Zähne aus dem Rohling. Beim Aufkohlen wird das Bauteil in einer kohlenstoffreichen Atmosphäre aufgeheizt, so dass Kohlenstoff über die Oberfläche in das Bauteil eindiffundieren kann. Beim anschließenden Abschrecken entsteht eine äußere Schicht mit hoher Härte. Gleichzeitig wird ein duktiler Kern erzeugt, der dann die erforderlichen elastischen Eigenschaften bietet. Schlussendlich werden die während der Aufkohlung allfällig entstandenen Verzüge durch Schleifen wieder abgearbeitet und das Bauteil wird in seine finale hochexakte Geometrie gebracht.
Lernen durch jede Simulation
Diese Prozesse hängen auf verschiedene Weise voneinander ab und eine Optimierung muss über die gesamte Prozesskette erfolgen. Mit Hilfe der AixViPMaP wird die gesamte Prozesskette auf Makro-, Mikro- und Nanoebene simuliert, so dass für jeden Prozessschritt die Prozessparameter optimal eingestellt werden können. Anschließend werden die getroffenen Vorhersagen auf Laborebene überprüft, indem der Werkstoff in den Laboren der RWTH-Partner hergestellt und getestet wird. In Prinzipversuchen werden die Modellparameter für alle Prozesssimulationen identifiziert und bestimmt. Im Rahmen der aufgestellten Simulationskette, die die gesamte industrielle Prozesskette abbildet, dienen die Daten der vorherigen Berechnung dabei jeweils als Input für die nächste Simulation. So kann zum Beispiel die Information über Korngröße, lokale Eigenspannung oder Härte mit jedem Prozessschritt überwacht werden. Auf diese Art wird eine Simulationskette zur Berechnung der Zahnfußtragfähigkeit - sie sagt etwas über die Lebensdauer des Bauteils aus - entwickelt und anhand von Beispielverzahnungen validiert. Hierbei kommt den Instituten zugute, dass alle zur Herstellung von Zahnrädern notwendigen Prozessschritte in den verschiedenen Laboren der RWTH experimentell dargestellt werden können. Beim Einsatz der Simulationsplattform arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eng mit industriellen Partnern zusammen. So wird in einem aktuellen Projekt ein neues Legierungs- und Prozesskonzept für einen Einsatzstahl für Großgetriebebauteile mit verbessertem Reinheitsgrad und damit Lebensdauer in der industriellen Praxis umgesetzt. Beteiligt sind unter anderem ein Stahlhersteller, ein Schmiedebetrieb, ein Wärmebehandler und ein Ofenhersteller.